„Hamlet“, Burgtheater

Gesehen am 27. Oktober 2025.

Loge erster Rang, gleich neben der Bühne, schön, schön, na gut, ich sitz rechts, Manuela links, die sieht die ganze Bühne, ich hoffe halt, dass ganz rechts nicht so viel passiert (tut es dann eh nicht).

Schön, schön, man sieht gleich mal die Bühne, das Bühnenbild macht mich nicht glücklich. Alles schwarz und dunkelgrau und düster, aha, Einheitsbild fürs ganze Stück, naja. Drei große, kreisrunde, schief angelegte Podien unterschiedlicher Größe, warum, wozu, ich weiß es nicht und die Podien spielen auch keine große Rolle für die Inszenierung, nur die große links vorne wird ausgiebig genutzt. Die intensivste Szene spielt sich rechts vorne fast unscheinbar ab und beinhaltet als Requisiten nicht mehr als zwei Kübel, fast schon armes Theater, nicht unironisch für die teuerste Sprechtheaterbühne Österreichs mit den weitaus größten Möglichkeiten.

Die Bühne vor Beginn des Stücks. Im Hintergrund ein Geist.

Es ist immer noch enttäuschend das Haus zu betreten, reinzugehen, auf die Buchhandlung zuzusteuern und festzustellen, dass es die nicht mehr gibt und stattdessen noch so eine Bar eröffnet wurde, naja, hätt ich nicht gebraucht, aber bitte, wahrscheinlich gibt es mehr Durst nach Sekt als Durst nach Büchern auf der Welt.

Aber wurscht, jetzt sitzen wir auf unseren Plätzen, die Sitze hinter uns haben wir gleich mitgekauft, wir sind unter uns.

Der schon etwas abgeschlagene Stuck in unserer Loge.

Ist es das fünfte Mal, dass ich „Hamlet“ seh? Erstes Mal vor rund 35 Jahren im Vienna International Theatre (gibts auch schon ewig nicht mehr) in einem im Keller gelegenen Theater, so arm, dass die Schauspieler nicht mal richtige Stiefel hatten, sondern die Unterschenkel mit Stoff umwickelt waren. Das zweite Mal Klaus Maria Brandauers Inszenierung am Burgtheater. Dann mit Manuela in Schloss Hof, eine Aufführung der Royal Shakespeare Company und wer sich aufregendes Theater erwartet hat, wurde enttäuscht: ein blutleerer Versuch, Shakespeare so aufzuführen, wie er „wirklich“ aufgeführt wurde, leeres Theater, das ebenso 1850 wie 1940 wie 1965 auf diese Weise stattfinden hätte können, so fad, dass ich die Hälfte des Stücks verschlafen habe. Heuer hat Stefano Bernardin seine „Hamlet One Man Show“ im Akzent dargeboten, fantastische Aufführung. Und nach vielen Versuchen habe ich es diesen Sommer geschafft, das Stück fertig zu lesen (in der Übersetzung von Erich Fried).

Die Inszenierung von Karin Henkel fängt interessant an. Wer sich einen klassischen Beginn erwartet mit dem Vorspiel zum Auftauchen von Hamlets Vaters Geist wird enttäuscht und darf sich dafür am Erscheinen von mehr als einem Dutzend Geistern erfreuen. Diese sind ganz wunderbar vorbildhaft für Geister in weiße Leintücher mit ausgeschnittenen Augenlöchern gekleidet und schreiten zeremoniell und im Chor redend vor sich hin, bis sich rausstellt, dass es sich um eine zu probende Szene unter der Führung von Michael Maertens – Hamlets Stiefvater und Brudermörder von Hamlets Vater – handelt. Schön gemacht und natürlich witzig, aber warum wird hier geprobt? Hm. Und schwupps kommt Hamlet bzw. eine ganze Reihe von Hamlets, unterschiedlichen Alters, Geschlechts, unterschiedlicher Größe.

Ok. Wir haben es hier mit einer Krise zu tun, es ist offiziell. Der Burgtheater-„Orlando“ ist aufgeteilt auf verschiedene Darsteller:innen, Hamlet genauso. Schön langsam schleicht sich der Verdacht ein, dass wir es mit eine gesellschaftlichen Thema der Spaltung zu tun haben, aber es ist keine Spaltung der Gesellschaft, wie sie öfter thematisiert wird, es ist eine Spaltung der Ichs, der Verlust der Einheit der Identität, wir sind nur noch die Summe unserer Charakteristika, nicht mehr ein Ganzes, ein Ich, wir sind viele kleine Ichs, die durchaus unterschiedlich reagieren. Das passt schön zu Hamlet, der sich selbst verdächtigt, nicht mehr er selbst zu sein, der seine Umgebung glauben macht, er wäre verrückt, bis die Umgebung tatsächlich glaubt, er wäre verrückt. Hamlet ist mehr als ein Ich, er muss mehr sein, weil in ihm die Widersprüche toben. Als Sohn der Mutter sollte er brav sein; als Sohn des ermordeten Vaters Rächer sein; als Königssohn sollte er der neue König sein; als Prinz sollte er eine zukünftige Prinzessin haben; als Freund sollte er ein gutes Verhältnis zu Rosenkranz und Güldensten haben, deren Mörder er aber wird (weil sie ihn morden sollen). Dieser Hamlet platzt vor lauter Ichs, dass er sich spaltet ist nur logisch und er präsentiert sich auf sehr unterschiedliche Weise: aggressiv-aufbrausend, zögerlich, weiblich … (hier die Besetzung). Zur Spaltung passt auch, dass Hamlets Mutter (Kate Strong) immer wieder Englisch redet und damit sozusagen aus der Rolle fällt. Und dazu immer wieder Michael Maertens, der als neuer König gern souverän wäre, aber immer am Rande der Katastrophe, am Rande der Überlastung tanzt und schlussendlich über die Grenzlinie kippt: Hamlet muss weg, er beschließt ihn ermorden zu lassen.

Der Teich, in dem Ophelia sterben wird.

Eigenartigerweise sind es Gertrud und Claudius, die Ophelia in den Tod treiben, eine freie Bearbeitung des Stücks, das generell eher eine Bearbeitung als eine Aufführung des eigentlichen Textes ist (so ist auch der ganze letzte Akt völlig umgearbeitet: kein Duell, kein Fortinbras, kein Laertes, kein allgemeines Sterben, bis praktisch alle tot sind …). Andererseits ist dadurch die eindrücklichste, intensivste, fast unerträgliche Szene des Abends gelungen: Claudius schüttet Wasser aus Plastikflaschen über Ophelias Kopf, drückt diesen immer wieder in einen Metallkübel, wirft die leeren Flaschen in einen zweiten Kübel, bis Ophelia tot ist. Langsam, grausam, ausweglos. Bei aller Brillanz, die Maertens an sich hat: er spielt immer alles gleich unterhaltsam. Er ist ein Schauspieler, der sich nie bemüht, tatsächlich einmal anders zu sein, eine Nuance zu zeigen, die man vorher nicht an ihm entdecken konnte. Das bedeutet nicht, dass er kein bedeutender Schauspieler wäre, aber er ist kein Schauspieler, der sich verwandelt, er hat sein verlässlichliches Repertoire an Mitteln, die er anwendet, fertig. In den vielen Inszenierungen, die wir mit Maertens gesehen haben, gab es nur zwei Momente, wo Maertens nicht der Maertens war, der er sonst ist. Der erste war in Tschechows „Die Möwe“, als er beiläufig erklärte, er habe die Möwe erschossen. Der zweite ist hier, als Claudius, der so aktiv den Selbstmord Ophelias betreibt, bis es eher wie Mord aussieht. Von erstaunlicher Intensität.

Kate Strong als Hamlets Mutter bleibt distanziert nach allen Richtungen. Scheinbar ohne Gewissensbisse wegen des Mordes an Hamlets Vater, scheint sie auch nicht verliebt zu sein Claudius. Hamlet liegt ihr wohl am Herzen, aber auch nicht allzu sehr. Gertrud wirkt eher wie eine Gefangene ihrer eigenen Prinzipien, kaum berührt von den Ereignissen um sich.

Henkels Inszenierung ist unterhaltsam, wie aus einem Guss, ob die weitgehende Um- oder Bearbeitung des Stücks nötig ist und wie weit Henkel dies zu verantworten hat, ist unklar. Dass es so viele Hamlets braucht, naja. Die Unmenge an Geistern könnte als Symbol gelesen werden, dass diese Gesellschaft, die hier gezeigt wird, nicht mehr fertig wird mit den Geistern und Gespenstern, wahrscheinlich hervorgerufen durch schreckliche reale Ereignisse, die nicht aufgearbeitet wurden. Sind wir das, die hier gezeigt werden? Eine Gesellschaft, die vor dem Horror der Vergangenheit wegläuft, die sich mit Geistern herumschlagen muss, die an Ich-Spaltung leidet?

Pause und Umbau bzw. Reinigung der Bühne. Im Hintergrund die Wolken, die ihre Farbe ändern können.

Das Bühnenbild von Katrin Brack, Nestroy-Preisträgerin 2017, passt zu dieser düsteren Analyse. Sind die scheibenförmige Podien die Räder, unter die wir gekommen sind oder gerade kommen? Henkel bezieht auch zweimal den Zuschauer:innenraum in ihre Inszenierung ein, um die Geister einziehen zu lassen. Das Stück endet blutig, ohne Duell, die Hamlets triefen teilweise vor Blut, am Ende ist Benny Claessens (hysterisch und fast außer sich als Hamlet) fast gänzlich mit Blut überzogen. Die letzten Worte werden einem Kind überlassen.

Nach fast drei Stunden ist das Stück zu Ende. Und bleibt im Gedächtnis.

Schlussapplaus: Benny Claessens, von oben bis unten voll von Blut. Im Hintergrund die unterschiedlichen Hamlets.

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