Die Nacht weiß nicht vom Tage

Gesehen am 18. November 2025, SOHO Studios (Wien)

„Die Nacht weiß nicht vom Tage“ ist ein Stück in acht Liedern der österreichischen Komponistin Ruth Cerha, die darin unter anderem den Tod ihres Vaters, des Komponisten Friedrich Cerha, der 2023 verstorben ist, verarbeitet. Das Stück wird im Rahmen von „wien modern“ aufgeführt, in den SOHO Studios, in einem kargen, weiten, mit quadratischen weißen Betonsäulen ausgefüllten Raum,. der alles andere als theatertauglich zu sein scheint, auf den ersten Blick.

Cerha, Komponisten, Darstellerin, Regisseurin, Texterin in einer Person, geht „Die Nacht …“ als Stationentheater an. Im Zentrum ein Klavier, das auf einem fahrbaren Podium nach Beendigung eines Stücks durch den Raum, um die Säulen geschoben wird, von Cerha selbst und einem grauhaarigen Mann, beide in matrosenähnlicher Kleidung. Das Publikum, teilweise ausgestattet mit Klapphockern (vielen Dank, liebe Veranstalter) kann und darf folgen, wenn es will und sich immer wieder neu platzieren – oder auch nicht. Aber alle folgen der Möglichkeit, sich zu bewegen und das Ganze aus einem anderen Winkel zu sehen. Zwei Tänzer:innen, eine Pianistin, ein Klarinettist, zwei Sängerinnen tragen das Werk vor. Die Musik ist leicht atonal, aber für heutige Verhältnisse harmonisch, mitunter melancholisch, die Stücke, acht Lieder, eine Ouvertüre und anderes, sind vergleichsweise kurz, das gesamte Werk hat aber doch eine Länge von rund 70 Minuten und zieht das Publikum durchaus in seinen Bann als Gesamtkunstwerk. Durch die intensive Darbietung der Tänzer:innen (noch nie haben wir Tanz aus einer derartigen körperlichen Nähe erlebt, nur Zentimeter entfernt, und zum ersten Mal die unglaubliche physische Anstrengung der Tänzer:innen realisiert); durch das Fesselnde der Musik; den Gesang; die Beleuchtung. (Weniger durch die szenischen Hilfsmittel wie Koffer und Erde.) Das Stück erschließt sich kaum aufgrund seiner Darbietung, das Motiv der Reise und der Zusammenhang mit der Vergänglichkeit bzw. dem Vergehen des Lebens wird deutlich, aber alles Weitere muss erlesen werden, was der Sogkraft der Aufführung aber keinen Abbruch tut.

Cerha wird vom Publikum (vielleicht 80 Menschen) zu Recht beklatscht, ebenso wie alle Teilnehmenden. Zum Schluss, aufgefordert von den Akteur:innen, löst sich alles im Tanz mit dem Publikum auf, an dem, Gott bewahre, ich auch teilnehmen musste.

Ruth Cerha.
Klavierspielerin und Klarinettist.
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